Gefordert: Ein Moratorium für das Rückkehrcamp Gampelen

Das Rückkehrcamp Gampelen liegt ausserhalb von Gampelen – irgendwo verloren im grossen Moos.

(Français, English) Philippe Müller und die Berner Migrationsbehörden wollen offensichtlich die übrigbleibenden 50 Personen des Rückkehrcamps Bözingen nach Gampelen zwangstransferieren. Dies, obwohl (1) seit dem Tod von Nesurasa nicht abgeklärt wurde, ob im Rückkehrcamp Gampelen das Recht auf Leben genügend geschützt ist bzw. ob der Kanton und/oder die mandatierte ORS AG ihre Fürsorge- und Schutzpflichten verletzt haben. Die angekündigten Transfers übergehen (2) die abgewiesenen asylsuchenden Aktivist*innen der Gruppe “Stop Isolation Bözingen”. Zusammen mit solidarischen Personen und Organisationen fordern sie als #WirbleibeninBiel seit Monaten einen Ort für eine Kollektivprivatunterkunft in Biel. (3) Schliesslich würde Philiippe Müller mit den Transfers nach Gampelen die Empfehlungen der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) missachten. In Gampelen die Belegung zu erhöhen, ist gemäss NKVF-Bericht schlicht “unzumutbar” (Seite 5).

Der aussergewöhnliche Todesfall von Nesurasa – vermutlich ein Suizid – wirft die Frage auf, ob der Kanton Bern und die mandatierte ORS AG ihre Fürsorge- und Schutzpflichten verletzen. Nesurasa war vor seinem Tod im Rückkehrcamp Gampelen isoliert. Freiwillig hat es Regierungsrat Philippe Müller bisher nicht für nötig gehalten, eine sorgfältige Untersuchung der Todesursachen einzuleiten. Bevor nicht klar ist, ob das Recht auf Leben im Rückkehrcamp Gampelen besser geschützt werden muss, um weiteren Suiziden vorzubeugen, soll der Kanton keine neuen Personen im Rückkehrcamp Gampelen unterbringen.

Nesurasa kommt aus Sri Lanka und hat 2015 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Die Behörden lehnten sein Gesuch ab. Schliesslich kam Nesurasa ins Rückkehrcamp Gampelen. Dort litt er unter der Isolation und der Perspektivlosigkeit im Nothilferegime. Er entwickelte starke Ängste und eine Alkoholsucht. All dies war der ORS AG bewusst, dennoch liess sie die psychischen Leiden nicht behandeln. Irgendwann zwischen dem 15. und 17. Februar 2022 verstarb Nesurasa. Seine Leiche wurde im Islerenkanal gefunden. Ein Arzt stellte den Tod ohne Todeszeitpunkt fest. Auf eine Obduktion und Untersuchung der genaueren Ursachen und Verantwortungen für den Tod, verzichtete die Staatsanwaltschaft und stellte das Verfahren rasch ein. Entgegen dem expliziten Wunsch der Familie wurde die Leiche eingeäschert.

Kanton und ORS AG hätten im Rückkehrcamp Gampelen eine Fürsorge- und Schutzpflicht für das Recht auf Leben

Eine erhöhte Verantwortung tragen Kanton und ORS, da in ihren Rückkehrcamps die Freiheiten der Bewohnenden von Rückkehrcamps, durch eine ständige Anwesenheitspflicht stark eingeschränkt sind (vgl. analog Artikel humanrights.ch zu Freiheitsentzug). Wer nicht wegreisen kann, muss dort auf unbestimmte Dauer in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Kanton und der ORS AG (über-)leben. Auf dem Spiel steht nichts Minderes als das Recht auf Leben gemäss Artikel 2 der Menschenrechtserklärung. Dieser Artikel 2 würde den Kanton und die ORS AG theoretisch verpflichten, (1) präventiv für eine optimale medizinische Betreuung zu sorgen. Auch müssten (2) aussergewöhnliche Todesfälle wie Suizide durch eine unabhängige Stelle sorgfältig analysiert werden, um weitere ähnliche Todesfälle zu verhindern (z.B. gemäss dem Minnesota Protokoll). Beides wurde im Fall Nesurasas nicht gemacht.

.„Das Recht auf Leben der in Rückkehrcamps isolierten abgewiesenen Asylsuchenden scheint weniger zu zählen als anderes. Ihr Tod wird kalt in Kauf genommen.“

Migrant Solidarity Network

Transfers von Bözingen nach Gampelen: Philppe Müller übergeht ausdrücklich die Empfehlungen der NKVF

Bereits jetzt herrschen im Rückkehrcamp Gampelen Spannungen. 2021 hielt die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) fest: „Die Überprüfung der Rückkehrzentren durch die Kommission wurde zu einer Zeit durchgeführt, in der die maximale Belegung der Zentren auf 60% reduziert war. In den Rückkehrzentren Aarwangen und Gampelen lag diese in tatsächlichen Zahlen noch tiefer.“ Sie zieht daraus folgende Schlussfolgerung:

„Die Belegung zu erhöhen bzw. die vorgesehene maximale Kapazität auszuschöpfen, würde die bereits bei aktueller Belegung kritische Situation zusätzlich verschlechtern und wäre für die Bewohnenden der RZB nach Ansicht der Kommission in jedem Fall unzumutbar“

Nationale Kommission zur Verhütung von Folter

#WirbleibeninBiel

Ob es zu den Tranfers kommt, ist noch offen. Die Bewohnenden des Rückkehrcamp Bözingen wehren sich. Als Gruppe Stop Isolation Bözingen organisiert, leisten sie zusammen mit solidarischen Gruppen Widerstand gegen die Transfers, um in Biel zu bleiben. Nicht im Containercamp, sondern in einer selbstbestimmten Kollektivprivatunterbringung. Eine Möglichkeit bietet das ehemalige Alterheim „Oberes Ried“. Diese Forderung entspricht übrigens einer expliziten Empfehlung der NKVF an den Kanton Bern: “Die Kommission empfhileht dem Kanton Bern, einen alternativen Standort in der Stadt Biel zu suchen” (Seite 12).
Alle Informationen zu #WirbleibeninBiel gibt es hier.

Anwesenheitspflicht in den Kollektivunterkünften ist unzulässig“

Demokratische Jurist*innen Bern

„Die zwingende Anwesenheitspflicht bedeutet, dass sich die Nothilfebeziehenden an sieben Tagen die Woche im RZB aufhalten und dort übernachten.“ So steht es in der kantonalen Nothilfeweisung Ziffer 5.4. Philipp Müller verletzte das Legalitätsprinzip und führte diese Freiheitsbeschränkung auf eigene Faust über eine simple Weisung ein. Im Bundesrecht finden sich keine Hinweise für eine derartige Freiheitsberaubung. Artikel 12 der Bundesverfassung sichert abgewiesenen Personen das Recht auf Nothilfe explizit zu – ohne es an Freiheitsbeschränkungen zu knüpfen. Einschränkungen wären nur erlaubt, wenn ihre zwangsweise Durchsetzung zur Beseitigung der Notlage führt, was hier nicht behauptet werden kann. Die Anwesenheitspflicht widerspricht zudem dem Recht auf Bewegungsfreiheit (Artikel 10) und dem Recht auf soziale Kontakte (Artikel 13), die beide ebenfalls in der Bundesverfassung geschützt wären. Auch im kantonalen Recht finden sich keine gesetzlichen Grundlagen für diese freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht. Es gab für die verschärfte Weisung keine Vernehmlassung, keine Parlamentsdebatte und kein Parlamentsentscheid.

Dass ein solcher Missbrauch der Gewaltentrennung und seine tödlichen Folgen nach wie vor keinen politischen Skandal auslösen, ist Zeugnis von strukturellem Rassismus.

Migrant Solidarity Network

Aus den aufgeführten Gründen fordert das Migrant Solidarity Network ein Moratorium für das Rückkehrcamp Gampelen. Der Kanton soll keine neuen Personen im Rückkehrcamp Gampelen unterbringen bevor nicht klar ist, ob das Recht auf Leben im Rückkehrcamp Gampelen geschützt ist.


EN: Philippe Müller and the Bernese migration authorities obviously want to forcibly transfer the remaining 50 persons of the return camp Bözingen to Gampelen. This is despite the fact that (1) since the death of Nesurasa it has not been clarified whether the right to life is sufficiently protected in the return camp Gampelen or whether the canton and/or the mandated ORS AG have violated their duties of care and protection. The announced transfers bypass (2) the rejected asylum seeker activists of the group “Stop Isolation Bözingen”. Together with solidary persons and organizations they demand as #WirbleibeninBiel since months a space for a collective private accommodation in Biel. (3) Finally, Philiipe Müller would disregard the recommendations of the National Commission for the Prevention of Torture (NKVF) with the transfers to Gampelen. According to the NKVF report, increasing the occupancy rate in Gampelen is simply ” unacceptable” (page 5).

FR: Philippe Müller et les autorités migratoires bernoises veulent manifestement transférer de force les 50 personnes restantes du camp de retour de Boujean à Gampelen. Ceci malgré le fait que (1) depuis la mort de Nesurasa, il n’a pas été clarifié si le droit à la vie est suffisamment protégé dans le camp de retour de Gampelen ou si le canton et/ou la société ORS AG mandatée ont violé leurs obligations de prévoyance et de protection. Les transferts annoncés ignorent (2) les activistes déboutés du groupe “Stop Isolation Bözingen”. Avec des personnes et des organisations solidaires, ils demandent depuis des mois, sous le nom de #WirbleibeninBiel, un lieu pour un hébergement collectif privé à Bienne. (3) Enfin, avec les transferts vers Gampelen, Philiipe Müller mépriserait les recommandations de la Commission nationale de prévention de la torture (CNPT). Selon le rapport de la CNPT, augmenter le taux d’occupation à Gampelen est tout simplement “inacceptable” (page 5).