„Jeden Tag bin ich geflutet von den Gefühlen dieser Abschiebung und den Folterungen, die danach hier in Sri Lanka folgten.“

DE: M. erzählt uns über seine Abschiebung von der Schweiz nach Sri Lanka, die er erleben musste. Und gibt einen Einblick über die alltägliche Gefährdung und die Gewalt, welcher er nun in Sri Lanka ausgesetzt ist. Sein humanitäres Visum ist noch hängig.

EN: M. tells us about his deportation from Switzerland to Sri Lanka, which he had to experience. And gives an insight into the daily danger and violence he is now exposed to in Sri Lanka. His humanitarian visa is still pending.

FR: M. nous parle de son expulsion de Suisse vers le Sri Lanka, qu’il a dû vivre. Il nous donne un aperçu des dangers quotidiens et de la violence auxquels il est désormais exposé au Sri Lanka. Son visa humanitaire est encore en suspens.


Es war der 30. August 2022, Mitternacht, als M. sich aus seinem Versteck zurück zu seiner Wohnung wagte. Normalerweise hält er sich in einer anderen Wohnung auf, da die Gefahr von Aufgespürtwerden und anschliessender Verhaftung durch den sri lankischen Geheimdienst zu gross ist. Doch an diesem Augusttag ging er zurück, da er am nächsten Tag zu einer Gerichtsverhandlung musste und zuvor die Anweisungen seines Anwaltes hören wollte. Ausserdem drängte es ihn, seine damals im sechsten Monat schwangere Frau zu besuchen, die bei seiner Mutter untergekommen war. M. dachte, er sei in der Nacht mehr geschützt, doch er irrte sich. Als er bei seiner Wohnung ankam, wurde er aus dem Nichts von fünf oder sechs unbekannten Personen überwältigt und mehrfach mit einem Stock und anderen Gegenständen geschlagen. Seine Verletzungen waren so gravierend, dass er sich im Spital behandeln lassen musste. Der Spitalbericht zu diesem Vorfall liegen der Schweizer Botschaft in Colombo, Sri Lanka seit drei Monaten vor. Dort hat er am 12.08.2022 ein humanitäres Visum eingereicht, nachdem er am 21.02.2022 von der Schweiz nach Sri Lanka ausgeschafft wurde. Seine Sicherheit sei nach Ermessen des SEM genügend gewährleistet gewesen…

Wie es zur Abschiebung kam

Im Februar 2022 erhielt M. – der zu dieser Zeit als abgewiesener Asylsuchender im Kanton Zürich wohnte – von seinem zuständigen Sozialarbeiter der ORS die Information, dass es einen Transfer für ihn geben würde. «Ich sollte an einem Tag irgendwann Mitte Februar 2022 – an das genaue Datum erinnere ich mich gerade nicht mehr – all meine Sachen gepackt haben und beim Migrationsamt für einen Termin antreten. Dort würde mir die Adresse sowie den Schlüssel für den neuen Ort gegeben, hat mir mein Sozialarbeiter mitgeteilt.» M. ging an besagtem Tag zum Migrationsamt, wo er in ein Zimmer geführt wurde. Dort wurde er gebeten, den Gurt auszuziehen und sein Portmonnaie aus der Tasche zu nehmen. Sobald er dies tat, wurden ihm – ohne weitere Erklärung der zwei Personen im Raum, vermutlich Polizist:innen – die Hände auf dem Rücken in Handschellen gelegt. Die zwei Personen hätten M. anschliessend in ein Zimmer am Bahnhof Zürich gebracht, wo sie ihn bis am Abend eingeschlossen liessen. „Ich hatte keine Informationen darüber, was mit mir geschieht. Ich stand dermassen unter Schock, dass ich sie nicht danach gefragt habe. Ich hatte sehr viel Angst und war traurig über die unmenschliche Behandlung.»
Am Abend seien dann zwei Polizist:innen – ein Mann und eine Frau – gekommen, sie hätten ihn und noch einen anderen Mann, welcher ebenfalls Handschellen trug, in einem Polizeiwagen mitgenommen. Anschliessend brachten die Polizist:innen sie an diesem neuen Ort in einen weiteren Raum. „Es war ein dunkler Ort, dieses Zimmer. Ein Gefängnis, vermute ich. Mir ging es schlecht, ich konnte nicht schlafen. Ich fragte nach meinen Medikamenten, welche ich aufgrund psychischer Instabilität nehme, bis sie mir gegeben wurden.» Am nächsten Tag am Abend seien erneut zwei Polizist*innen gekommen, die M. zum Ausschaffungsgefängnis beim Flughafen Zürich brachten. „Dort bin ich meinem Gefühl nach 5-6 Tage lang geblieben, ich kann es jedoch nicht genau sagen, da ich kein Licht nach draussen sah und Tage wie Nächte gleich waren.“ Vermutlich sei die Zeit dort als Quarantänezeit aufgrund Covid19 gewesen. „Ich habe erst vielleicht eine Stunde vor Abflug wirklich begriffen, dass sie mich jetzt abschieben werden. Dann habe ich geschrien.“ Das Schreien habe nichts gebracht, der andere Mann und M. seien mit Handschellen in ein Flugzeug geführt worden. „Viele von uns haben laut geschrien. Wir wollten alle nicht zurück nach Sri Lanka! Die Escorte-Personen – in irgendeiner farbigen Uniform – haben ständig widerholt, wir sollen nicht schreien. Ich fühlte mich so unmenschlich behandelt!“

Abschiebung trotz offensichtlicher Gefährdung und psychischen Beschwerden

„Sieben Jahre meines Lebens habe ich in der Schweiz verbracht. Von dort wurde ich abgeschoben, trotz meiner Aussagen, die meine Gefährdung in Sri Lanka bestätigten sowie trotz ständiger psychischer Beschwerden, die nebst der schwierigen Zeit als abgewiesener Asylsuchender in der Schweiz, vor allem auch auf meine stetige unsichere Lebenslage in Sri Lanka zurückzuführen sind. Ich hatte so viel Hoffnung in die Schweiz, auf Sicherheit. Hoffnung in die Menschen und sogar in die Polizei, von der ich dachte, sie würden gerechtes Recht umsetzen, nicht wie das sri lankische Militär und die sri lankische Polizei. Doch dieses Vertrauen ins Recht oder ein gerechtes System habe ich verloren und das macht mich immer noch jeden Tag traurig. Immer noch bin ich jeden Tag geflutet von den Gefühlen dieser Abschiebung und den Folterungen, die danach hier in Sri Lanka folgten.“

Sich verstecken um zu überleben

Aktuell müsse sich M. in Sri Lanka an einem unbekannten Ort verstecken, da seine Wohnung ständig überwacht und jeden Tag durchsucht werde. „Ich kann so nicht leben. Ich sperre mich selbst ein, um nicht umgebracht zu werden. Meine inzwischen hochschwangere Ehefrau wohnt mit meiner Mutter an einem anderen Ort. Auch dort wird ihr Haus fast täglich durchsucht und sie werden gedemütigt. Meine Mutter hat mir erzählt, dass meine Frau in alltäglicher Angst lebe. Sie zittere, sobald sie eine ihr fremde Person sehe.“

In Sri Lanka wird M. nie in Sicherheit leben können.

Weil M. vor sowie nach seiner Abschiebung wusste, dass er in Sri Lanka nie in Sicherheit und Ruhe wird leben können, hat er nach seiner Rückkehr so schnell wie möglich alle notwendigen Dokumente zusammengestellt und ein humanitäres Visa eingereicht. Seit drei Monaten ist dieses bei der schweizerischen Botschaft in Colombo hängig. Eingereicht hat M. auch Beweise für die aktuelle ständige Überwachung seiner Wohnung, für die Folterungen, die er nach seiner Abschiebung in Sri Lanka erlebt hat und die ständige Bedrohung an Leib und Leben, der er ausgesetzt ist. 

Jede Abschiebung ist eine zu viel!

Doch im Fall von M. hat das SEM offensichtlich und bewiesenermassen einen Fehlentscheid getroffen, die gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstösst. Wir fordern, dass die Botschaft in Colombo sowie das SEM, das humanitäre Visa von M. sofort behandeln und gutheissen und damit wenigstens ansatzweise Verantwortung für ihre unmenschliche Praxis übernehmen.

Das Migrant Solidarity Network fordert:

  • Eine sofortige Prüfung und Gutheissung des humanitären Visas von M.
  • Einen Stopp der unmenschlichen Abschiebungen nach Sri Lanka und in alle Staaten.
  • Bewegungsfreiheit für alle und überall.

(weitere Informationen über die Geschichte und Situation von M. findet sich in folgendem Republik Artikel: https://www.republik.ch/2022/10/11/zurueck-in-sri-lanka-begann-der-albtraum)