
14 August 2025 – Heute um 10 Uhr findet im Staatssekretariat für Migration ein Gespräch zwischen Claudio Martelli, Vize-Direktor und einer Delegation der Gruppe Empathie und Einheit statt. In ihr organisiert sich ein Drittel der rund 300 abgewiesenen Iraner*innen, die derzeit in der Schweiz leben. Im Gespräch geht es um die aktuelle Asylpraxis, die Entwicklung der Schutzquote bei Iraner*innen sowie die Frage, inwiefern das SEM Ausschaffungen in den Iran weiterhin als zulässig und zumutbar erachtet.
Aktuelle Berichte beschreiben, wie das Mullah-Regime im Schatten des Angriffskrieg durch Israel und die USA die Repression im Land stark verschärft hat und noch mehr politisch motivierte Hinrichtungen durchführt (vgl. unten). Die systematische Gewalt und Repression, die Hinrichtungen, die permanente Überwachung, Verfolgung und Diskriminierungen stellen für die gesamte Bevölkerung eine konkrete Gefährdung dar – insbesondere gilt dies für politisch Aktive, Frauen und Mädchen sowie vom Regime unterdrückte Minderheiten.
Für Empathie und Einheit ist der Iran deshalb kein sicheres Land: „Grundsätzlich erscheint uns eine vorläufige Aufnahme für iranische Asylsuchende gerechtfertigt.“ Einzelfallprüfungen des SEM sollten angesichts der aktuellen Gefährdungslage feststellen können, dass eine Reintegration bei einer Rückkehr in den Iran nicht zumutbar ist. Es fehlt schlicht an echten Garantien dafür, dass nach einer Ausschaffung im Iran keine Folter, Verfolgung oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Hintergründe
Starke Zunahme von Repression und Todesstrafen seit dem 12-Tage-Angriffskrieg
Aufgrund der Bombardierungen vom 13. bis 24. Juni 2025 erhöhten sich für die iranische Bevölkerung die Sicherheitsrisiken. Doch im Schatten des Kriegs hat das Mullah-Regime auch seinerseits die Repression und Gewalt verschärft. Die schweizer Botschaft beschrieb die Lageam 28. Juli folgendermassen: „Das Eskalationsrisiko in der gesamten Region bleibt hoch. Die Entwicklung der Lage ist ungewiss und eine erneute Verschlechterung der Sicherheitslage im ganzen Land ist jederzeit möglich (…) Von Reisen in den Iran wird abgeraten.
Diese Woche berichtete die iranische Polizei gegenüber staatlichen Medien, dass sie während des 12-tägigen Angriffskriegs 21.000 Menschen festgenommen hat. Sie wirft den Verhafteten Spionage und illegale Filmaufnahmen vor. Aufgrund dieses Vorwurfs wurden seit Ende Juni bereits mindestens sieben Personen hingerichtet.
Die in Norwegen ansässige Organisation Iran Human Rights (IHRNGO) warnt vor einer Welle von politisch motivierten Hinrichtungen. 782 Hinrichtungen hat Iran Human Rights allein dieses Jahr schon dokumentiert. Eine massive Zunahme: Im gesamten letzten Jahr 2024 waren es 975 Menschen, was bereits einem Anstieg von 17 % gegenüber 834 Hinrichtungen im Jahr 2023 entsprach.
Repression und Todesstrafe sind für das Mullah-Regime Instrumente der Herrschaft und Unterdrückung. Ziel ist es die gesamte Bevölkerung einzuschüchtern, die Protestbewegungen zu spalten und Widerstand im Keim zu ersticken.
Durchgehend negative Lageeinschätzungen
Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) stellt in einem Bericht vom Juli 2025 eine starke Zunahme der Repression und eine Verschlechterung der Sicherheitslage im Iran fest. Die SFH weist explizit darauf hin, dass auch vor dem Angriffskrieg „Keine «Normalisierung» der Lage“ zu beobachten gewesen sei. Die Proteste seien zwar seit 2023 abgeklungen, doch die Repression der iranischen Behörden hätte subtilere und gezielte Formen angenommen. Die SFH bezieht sich u.a. auf die Fact-Finding Mission der UNO.
Der umfassende Bericht der Fact-Finding Mission wurde dem Menschenrechtsrat in Genf am 18. März 2025 vorgelegt. Der Bericht bekräftigt frühere Feststellungen zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Mullah-Regime setze ihre systematische Unterdrückung weiterhin fort und verschärfe die Überwachung, um nach den Protesten abweichende Meinungen zu unterdrücken, so die UN-Untersuchungsmission.
Diese Vorwürfe bestätigt auch Amnesty International. Im April veröffentlichten Jahresbericht 24/25 zum Iran heisst es: „Die Behörden schränkten die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung weiter ein. Frauen und Mädchen, LGBTI-Personen sowie ethnische und religiöse Minderheiten waren systematischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Die Behörden verschärften ihr Vorgehen gegen Frauen, die sich den Gesetzen zur Verschleierungspflicht widersetzten, gegen die Bahá’í-Gemeinde sowie gegen afghanische Flüchtlinge und migrierte Personen. Tausende wurden willkürlich festgenommen, verhört, schikaniert und/oder ungerechtfertigt strafrechtlich verfolgt, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten. Gerichtsverfahren waren weiterhin systematisch unfair. Verschleppungen, Folter und andere Misshandlungen waren weit verbreitet und systematisch. Grausame und unmenschliche Strafen, darunter Auspeitschungen und Amputationen, wurden vollstreckt. Die Todesstrafe wurde willkürlich verhängt und betraf unverhältnismäßig häufig Angehörige ethnischer Minderheiten und Menschen mit Migrationshintergrund. Für vergangene und andauernde Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit Massakern in Gefängnissen im Jahr 1988 und andere Verbrechen nach internationalem Recht herrschte weiterhin systematische Straflosigkeit.“
Fragen von Empathie und Einheit an das SEM
- Auf welche Quellen stützen sich das SEM, falls es Rückführungen aktuell als grundsätzlich zumutbar bzw. den Iran als grundsätzlich sicheres Land einstuft?
- Wie viele abgewiesene Iraner*innen leben aktuell in der Schweiz? Wie viele davon seit fünf oder mehr Jahren?
- Wie sieht aktuell die Praxis des SEMs betreffend Rückführungen in den Iran aus?
- Wie hat sich die Schutzquote seit dem letzten Treffen im Mai 2024 entwickelt?
- Aktuelle Berichte (SFH, UN-Fact Finding Mission) konstatieren seit dem Angriffskrieg Israels und den USA gegen Iran eine erhöhte Repression innerhalb des Regimes. Die Zahl der Inhaftierungen nahm erneut zu, die menschenrechtsverletzenden Gesetze werden (noch) strenger durchgesetzt. Wie hat sich von diesem Hintergrund die Entscheidpraxis des SEM entwickelt? Für politisch Aktive, Frauen und Mädchen, verfolgte Minderheiten?
- Laut Amnesty International ist der Anstieg der Hinrichtungen im Iran massiv. So forderte Amnesty bereits im Frühling 2024 ein «entschlossenes Vorgehen» der internationalen Gemeinschaft. Die Inhaftierungen und Verhängung der Todesstrafe haben aktuell weiter zugenommen. Die Willkür ist systematisch. Wie gewährleistet das SEM auf dieser Grundlage die Sicherheit der iranischen Geflüchteten, die es zur Rückkehr auffordert?
- Laut der UN Fact-Finding Mission werden repressive Massnahmen wie Festnahmen, Inhaftierungen und Strafverfolgung weiterhin gegen Menschenrechtsverteidigende, Rechtsanwält*innen, Journalist*innen, Lehrpersonen, Künstler*innen und andere angewendet, die an den Protesten beteiligt waren oder die Bewegung «Frau, Leben, Freiheit» unterstützen. Die UN Fact-Finding Mission sieht darin ein systematisches Muster staatlicher Bemühungen, abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen und den Geist der Protestbewegung zu unterdrücken. Wie gewährleistet das SEM auf dieser Grundlage die Sicherheit der iranischen Geflüchteten, die es zur Rückkehr auffordert, auch für exponierte Gruppen wie exil-politisch Aktive, Frauen und Mädchen, verfolgte Minderheiten?
