SEM: Im Zweifel gegen die Betroffenen

Seit der Vertreibung des syrischen Diktators am 8. Dezember ist die Lage in Syrien offen. In die Freude und Hoffnung über den Zerfall des diktatorischen Assad-Regimes mischen sich Befürchtungen, dass nun einfach ein anderes diktatorisches Regime an dessen Stelle treten könnte. Die türkische Regierung nutzt die Situation aus, um erneut die selbstverwalteten kurdischen Gebiete im Nord-Osten anzugreifen während Israels Armee Ziele im Süden bombardiert und Gebiete auf den Golanhöhen besetzt hat. Derweil entschliessen europäische Staaten – auch die Schweiz – die Asylgesuche von Personen aus Syrien bis auf weiteres nicht mehr zu behandeln.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erliess noch am Tag des Sturzes von Assad die entsprechende Weisung. Eine rasantes Tempo für eine Behörde, deren Bearbeitungsfristen auch für trivialste E-Mails in der Regel Wochen oder Monate dauern.

Die erste Sistierung von Asylanträgen geflüchteter Syrer*innen dauerte 2 Jahre.

Bereits am Anfang des Aufstands gegen Assad im Jahr 2011 erklärte sich das SEM für unfähig, die Bedrohungslage in Syrien richtig einschätzen zu können. Erst im Frühling 2013 kam es zum Schluss, dass es Syrer*innen generell nicht zuzumuten ist, ins eskalierende Kriegsgebiet deportiert zu werden (siehe BVG-Urteil, Punkt 5.2.3). Das SEM brauchte also rund zwei Jahre für die Entscheidung zum Schutz für Menschen aus Syrien. Zwei Jahre, in denen die syrische Diktatur Krieg gegen die eigene Zivilbevölkerung führte. Zwei Jahre, in denen die syrische Armee Demonstrierende auf offener Strasse erschoss. Zwei Jahre, in denen massenweise Zivilist*innen in die Folterknäste, die heute vor den Augen der Welt aufgebrochen werden, verschleppt wurden.

Auch das mittlerweile aufgehobene Asylmoratorium für sudansische Geflüchtete dauerte 10 Monate trotz der offensichtlich katastrophalen Lage im Land.

Blockierte Asylverfahren schaffen Unsicherheit und Prekarität für betroffene Personen.

Sowohl die unbegreiflich lange Dauer bis zur generellen Schutzgewährung damals als auch die reflexartige Sistierung der Asylgesuche vergangene Woche zeigen einmal mehr, dass in der Schweizer Asyl- und Migrationspolitik die Interessen asylsuchenden und migrierten Personen höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. Laut Asylstatistik befinden sich aktuell rund 500 Personen aus Syrien in einem laufenden Asylverfahren. Ihre Zukunftsperspektiven wurden mit dem Entscheid des SEM auf unbestimmte Zeit reduziert auf Lagerleben, Asylsozialhilfe und Workfare.

Das Motiv ist nicht der Schutz, sondern die Ausschaffung.

Dass der Zerfall des syrischen Regimes einen starken Einfluss auf die Beurteilung von Asylgesuchen hat, versteht sich von selbst. Doch die Sistierung aller Asylgesuche geht weit über die Frage der politischen Verfolgung hinaus und betrifft im Kern die sogenannte «Erhaltung der Rückführbarkeit». Mit anderen Worten: Das SEM schafft vorsorglich möglichst gute Voraussetzungen, um geflüchtete Personen aus Syrien in das heruntergewirtschaftete, zerrüttete und politisch instabile Land abzuschieben.

Deportation ist die Königsdisziplin der Schweizer Migrationspolitik, was erst kürzlich die vom zukünftigen SEM-Direktor organisierte und medial ausgeschlachtete Zwangsausschaffung von zwei Menschen nach Afghanistan gezeigt hat. Der Zustand einer generellen Schutzgewährung, wie er bei geflüchteten Personen aus Syrien (und zuvor auch Afghanistan) gewährt wurde, ist hingegen der absolute Ausnahmezustand, den es aus Sicht der Behörden und der Politik immer so schnell wie möglich aufzuheben gilt.


Asylgesuche deblockieren!
Kein unbefristetes Warten für Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind.

Schutz und Perspektive gewähren!
Die Situation in Syrien ist nach wie vor katastrophal. Es braucht mindestens eine vorläufige Aufnahme.

Rojava verteidigen!
Im Moment der Befreiung vom Assad-Regime ist die Freiheit Rojavas einmal mehr unter Beschuss. Bijî Berxwedana Rojava!