
///FR///EN///Heute zum Tag gegen Rassismus kritisiert das Migrant Solidarity Network unzulässige Einschränkungen im Berner Nothilfergime. An rechtsstaatlichen Prinzipien vorbei werden abgewiesene Geflüchtete isoliert und gequält. Erst missachtete die Migrationsbehörde die Gewaltentrennung und führte in den Rückkehrcamps eine unzulässige und freiheitsbeschränkende Anwesenheitspflicht ein. Dann beschloss das Berner Parlament Regeln für die sogenannte „Privatunterbringung“: Abgewiesene Geflüchtete dürfen nur dann bei Privaten wohnen, wenn sie sich in den Augen der Migrationsbehörde genügend um die eigenen Ausschaffung bemühen. Die Koppelung der „Privatunterbringung“ an die ausländerrechtliche Mitwirkungspflicht ist ebenfalls unzulässig.
“Dass das Unzulässige des Berner Nothilferegimes keinen Skandal auslöst, zeigt den strukturellen Rassismus im und beim Kanton auf.”
Migrant Solidarity Network
Um abgewiesene Asylsuchende dazu zu bringen, die Schweiz zu verlassen, sieht das Asylgesetz zwei einschneidende Druckmittel vor. Zum Einen können die Migrationsbehörden eigenmächtig während Monaten Administrativhaft anordnen. Zum Anderen werden abgewiesene Asylsuchende von der Sozialhilfe ausgeschlossen und unterstehen einem strikten Erwerbsverbot. Das Verfassungsrecht auf Nothilfe ist das Einzige, was abgewiesenen Asylsuchenden zum Überleben bleibt:
„Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.“
Artikel 12, Bundesverfassung
Für das Bundesgericht genügen für ein „menschenwürdiges Dasein“ (1) die obligatorische Krankenkasse, (2) ein Dach über dem Kopf und (3) Sackgeld oder Sachleistungen im Wert von rund 10 Franken pro Tag. Doch im Kanton Bern wird dieses unerlässliche Minimum unzulässig eingeschränkt.
Unzulässige Anwesenheitspflicht
2020 führte die Migrationsbehörde eine zwingende Anwesenheitspflicht ein. Diese verletzt zum Einen das Recht auf Nothilfe und zum Anderen die Rechte auf Bewegungsfreiheit und Sozialleben.
„Die zwingende Anwesenheitspflicht bedeutet, dass sich die Nothilfebeziehenden an sieben Tagen die Woche im Rückkehrzentrum aufhalten und dort übernachten.“
Ziffer 5.4 der kantonalen Nothilfeweisung
Im Asylgesetz gibt es keine Grundlage für diese Freiheitsbeschränkung und im kantonalen Parlament fand dazu weder eine Debatte noch eine Abstimmung statt. Die Migrationsbehörde verschärfte die Nothilfeweisung eigenmächtig und verstiess dabei gegen die Gewaltentrennung.
Unzulässiger Nothilfeausschluss
Wer drei Mal gegen die Anwesenheitspflicht verstösst, gilt nach diesen eigenmächtigen Regeln des Kantons als untergetaucht, wird bei der Krankenkasse abgemeldet und erhält das tägliche Nothilfegeld von 10 Franken nicht mehr. Die Migrationsbehörde sieht im Verstoss gegen die Anwesenheitspflicht ein hinreichender Hinweis dafür, dass die Person von Dritten Unterstützung erhalte und daher von der Nothilfe ausgeschlossen werden könne.
„Als nicht bedürftig gilt, wer (…) Unterstützung von Dritten erhält oder die angebotenen Leistungen nicht in Anspruch nehmen will.“
Artikel 6 Einführungsverordnung AIG und AsylG
Gemäss Bundesgericht besteht allerdings kein Zwang alle drei Nothilfeleistungen zu benötigen (BGE 138 V 310 E. 5.3). Wer beispielsweise selber ein Dach über dem Kopf findet und deshalb kein Platz in einem Nothilfecamp mehr nötig hat, soll falls nötig, trotzdem Nothilfegeld oder Unterstützung für die Krankenkasse erhalten. Die aktuelle Feststellung der Nothilfebedürftigkeit durch die Migrationsbehörde ist zu pauschal. Der komplette Ausschluss aus der Nothilfe unzulässig.
Mitwirkung als unzulässige Voraussetzung für „Privatunterbringung“
Abgewiesene Geflüchtete haben gemäss Asylgesetz Pflichten. Eine einschneidende ist die sogenannte Mitwirkungspflicht bei eigenen Ausschaffung:
„Nach Vorliegen eines vollziehbaren Wegweisungsentscheides sind die betroffenen Personen verpflichtet, bei der Beschaffung gültiger Reisepapiere mitzuwirken.“
Artikel 8 Absatz 4 Asylgesetz
Um die Mitwirkungspflicht durchzusetzen, kann die Migrationsbehörde abgewiesene Geflüchtete willkürlich bis zu 18 Monate in Administrativhaft wegsperren. Dieses unmenschliche Druckmittel reichte dem Berner Parlament jedoch nicht aus. 2022 führte es eine zusätzliche Bestrafung ein, die im Ausländergesetz gar nicht vorgesehen wäre.
Wenn die Berner Migrationsbehörde zum Schluss kommt, dass eine Person gegen die Mitwirkungspflicht verstosse, kann sie dieser verbieten, bei Privaten zu wohnen. Wer dann trotzdem bei Privaten wohnt ohne im Rückkehrcamp anwesend zu sein, wird ganz von der Nothilfe ausgeschlossen. Die Mitwirkungspflicht wird somit zu einer Auflage für das Recht auf Nothilfe. Auflagen der Nothilfe sind laut Bundesgericht jedoch nur dann zulässig, wenn sie dazu beitragen, die Nothilfebedürftigkeit entweder zu verringern oder zu überprüfen (BGE 135 I 119 E. 5.4; BGE 131 I 166 E. 4.5). Die Berner Auflage für Privatunterbringung verfolgt ausschliesslich repressive Ziele, die darauf abzielen, dass die Person ausgeschafft werden kann. Die Auflage ist somit unzulässig.
Die Anwesenheitspflicht in den Rückkehrcamps und durch die Erschwernisse der Privatunterbringung sind nicht nur rechtlich unzulässig sondern auch entmenschlichend. Zudem widersprechen sie sogar dem Wirtschaftlichkeitsprinzip des Nothilferegime, das das Parlament selbst festgehalten hat.
„Bei der Gewährung der Nothilfe (…) sind kostengünstige Lösungen zu wählen.“
Artikel 18, Einführungsgesetz zum Ausländer- und Integrationsgesetz sowie zum Asylgesetz
Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) hat vor kurzem eine Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz veröffentlicht. Diese Definition von strukturellem Rassismus beschreibt das Berner Nothilferegime treffend:
„Struktureller Rassismus bezeichnet eine gesellschaftlich verankerte Benachteiligung oder Ausgrenzung rassifizierter Gruppen. Er zeigt sich in Werten, Handlungen und Normvorstellungen, die historisch gewachsen sind. Oft wird dies in der öffentlichen Wahrnehmung als ‘normal’ hingenommen oder kaum hinterfragt und prägt auch Gesellschaft, Institutionen oder Unternehmen. Struktureller Rassismus führt tendenziell zur Vervielfältigung von bestehenden Ungleichheiten.“
(Fachstelle für Rassismusbekämpfung).
Das Migrant Solidarity Network fordert:
- ein sofortiges Ende der unzulässigen Anwesenheitspflicht und der unzulässigen Einschränkung des Wohnens bei Privaten.
- eine externe Untersuchung zur Frage, wie die Missachtung der Verfassung und der Gewaltentrennung hätte verhindert werden können.
- Akteur*innen, Werte, Handlungen und Normvorstellungen, die den strukturellen Rassismus in Parlament, Regierung und Behörden hervorbringen und reprozuzieren, müssen geschwächt und überwunden werden. Für sie braucht es weniger Geld, weniger Anerkennung, weniger Macht sowie mehr Kritik, mehr Widerstand, mehr Alternativen.
Des restrictions illicites dans le régime d’aide d’urgence bernois renforcent le racisme structurel
Aujourd’hui, à l’occasion de la journée contre le racisme, le Migrant Solidarity Network critique les restrictions illicites du régime d’aide d’urgence bernois. Les personnes déboutées sont isolées et malmenées au mépris des principes de l’Etat de droit. D’abord, l’autorité de migration a ignoré la séparation des pouvoirs et a introduit dans les camps de retour une obligation de présence illicite et restreignant les libertés. Ensuite, le Parlement bernois a adopté des règles pour ce qu’on appelle “l’hébergement privé” : les personnes déboutées ne peuvent vivre chez des particuliers que si, aux yeux des autorités migratoires, elles font suffisamment d’efforts pour se faire expulser. Il est également illicite de lier “l’hébergement privé” à l’obligation de coopérer prévue par le droit des étrangers. “Le fait que le caractère illicite du régime d’aide d’urgence de Berne ne provoque pas de scandale met en évidence le racisme structurel qui règne dans et sous le canton”.
Unlawful restrictions in Bern’s emergency aid regime strengthen structural racism
Today, on the Day Against Racism, the Migrant Solidarity Network criticizes unlawful restrictions in the Bern emergency aid regime. Rejected refugees are isolated and harassed without respecting the principles of the rule of law. First, the migration authority disregarded the separation of powers and introduced an unlawful and freedom-restricting compulsory presence in the return camps. Then the Bernese parliament decided on rules for so-called “private accommodation”: rejected refugees are only allowed to live with private individuals if, in the eyes of the migration authority, they make sufficient efforts to deport themselves. Linking “private accommodation” to the obligation to cooperate according to immigration law is also inadmissible. “The fact that the unlawfulness of the Bern Nothilferegime does not cause a scandal shows the structural racism in and at the canton.”