Das Staatssekretariat für Migration lässt wieder nach Kroatien abschieben

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Die Abschiebezahlen und die neuesten Asylentscheidungen weisen auf eine Praxisänderung hinsichtlich Dublinabschiebungen nach Kroatien hin. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) und das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) betrachten Abschiebungen nach Kroatien vermehrt als „zulässig und zumutbar“.

Die kroatische Polizei prügelt, foltert und erntet vollstes Vertrauen vom SEM

Aufgrund der Situation an der kroatischen Grenze verzichtete das SEM während mehrerer Jahre auf Dublin-Abschiebungen nach Kroatien.

Nachdem das BVGer mehrere Rekurse guthiess, nutzte das SEM jeweils das sogenannte Selbsteintrittsrecht des Dublinabkommens und behandelte Gesuche in der Schweiz. Nun ändert sich diese Praxis. Neu wird der Handlungsspielraum des Dublinabkommens in voller Härte gegen Personen angewandt, um sie loszuwerden. Von den systematischen Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen im kroatischen Grenzgebiet könne nicht auf (rechtsstaatliche) Probleme im Inneren des Landes geschlossen werden. Von abgeschobenen Menschen könne daher erwartet werden, sich und ihre Fluchtgründe dem kroatischen Staat anzuvertrauen, um Asyl zu beantragen. Dies, auch wenn derselbe Staat an der Grenze mit Polizeigewalt, Folter und illegalen Pushbacks gegen asylsuchende Menschen vorgeht.

Abgeschoben werden neu Personen, denen die kroatische Polizei irgendwann bei der Durchreise die Fingerabdrücke abgenommen hat oder Personen, die durch die Polizei nach Zagreb in ein Camp gebracht wurden, um ein Asylverfahren zu eröffnen

2020 betraf dies vier Personen. 2021 stieg die Zahl auf 15. Und dieses Jahr waren es bereits im Juli 12 Personen. Ein Teil von ihnen wurde – wie viele andere Menschen im Transit – von der kroatischen Polizei geschlagen, gefoltert, verschleppt und mehrmals gepushbackt. Das SEM und das BVGer verneinen die extreme Gewalt und die Entrechtung im kroatischen Grenzgebiet nicht. Trotzdem finden sie Abschiebungen nach Kroatien nun wieder „zulässig“. Die Asylsuchenden würden nicht genügend Hinweise dafür liefern, dass im Inneren des Landes nach einer Dublin-Abschiebung ebenfalls Gewalt und Entrechtung drohen. Es sei daher „zulässig und zumutbar“ die Abschiebungen durchzuziehen. Die abgeschobenen Menschen sollen sich dort an den kroatischen Polizei- und Justizapparat wenden, um Asyl zu beantragen. Echt jetzt? Asylanträge und Fluchtgründe sollen einem Peiniger anvertraut werden, der sich nicht an völkerrechtliche Vorgaben hält und dessen fehlbares Verhalten weder geächtet noch verurteilt wird?

Das sei kein Problem, argumentieren das SEM und das BVGer.

Die abgeschobenen Geflüchteten seien jederzeit frei, sich in Kroatien an die polizeiinterne Kontrollstelle oder an die Ombudsstelle für Menschenrechte zu wenden oder sich vor Gericht Gehör zu verschaffen, falls sie erneut von Polizeigewalt, staatlicher Diskriminierung oder einem Verstoss gegen das Non-Refoulement-Verbot aufgrund von einer illegalen Abschiebung oder einem Pushback betroffen wären.

Es muss wie ein Schlag ins Gesicht sein, nach der Flucht aus beispielsweise Afghanistan, nach der oft Jahre dauernden Reise durch die Türkei und Griechenland und nach Erfahrungen mit Gewalt und Entrechtung auf der Balkanroute in der Schweiz anzukommen und einen solchen Beschluss zu erhalten.

Die Praxis der offiziellen Schweiz ist einfach nur menschen(rechts)verachtend heuchlerisch und institutionell rassistisch.

EN: The State Secretariat for Migration is again allowing deportations to Croatia. The deportation statistics and the latest asylum decisions indicate a change in practice regarding Dublin deportations to Croatia. The State Secretariat for Migration (SEM) and the Federal Administrative Court (FAC) increasingly consider deportations to Croatia as ” legal and acceptable”.

FR: Le Secrétariat d’Etat aux migrations autorise à nouveau les expulsions vers la Croatie. Les chiffres des expulsions et les dernières décisions d’asile indiquent un changement de pratique concernant les expulsions Dublin vers la Croatie. Le Secrétariat d’Etat aux migrations (SEM) et le Tribunal administratif fédéral (TAF) considèrent de plus en plus les expulsions vers la Croatie comme ” légales et acceptables “.

Weitere Informationen:

https://www.fluechtlingshilfe.ch/fileadmin/user_upload/Publikationen/Juristische_Themenpapiere/220913_Polizeigewalt_final.pdf

https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/publiservice/statistik/asylstatistik/archiv.html