Niederlage? Bieler Gemeinderat und Philippe Müller setzen sich gegen #WirbleibeninBiel durch

Die Bewohner*innen des Rückkehrcamps Bözingen wollten ihre Isolation in abgelegenere Rückkehrcamps verhindern. Rund um ihre Forderung #WirbleibeninBiel ist ein vielfältiger solidarischer Kampf entstanden. Diese Woche zeigte nun einmal mehr, wie die Behörden die Forderungen ignorieren und den Kampf deligitimieren oder gar kriminalisieren. Der Kanton setzte weitere Transfers durch und die Stadt liess das besetzte ehemalige Altersheim «Oberes Ried» räumen.

Am Montag und am Mittwoch war es soweit. Was nicht geschehen sollte, wurde durchgesetzt.

Entgegen der Empfehlungen der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) setzte der Kanton diese Woche die Transfers der alleinstehenden Männer des Rückkehrcamps Bözingen ins berüchtigte Rückkehrcamp Gampelen durch. Einige Wochen zuvor tat er dies bereits alleinstehenden Frauen und Familien an, die im abgelegenen Rückkehrcamp Enggistein isoliert wurden. In Bözingen bleiben Familien mit französisch eingeschulten Kindern. Der Kanton will sie noch diesen Monat in die abgelegene Ex-Psychiatrie Bellelay im Berner Jura verfrachten.

WirbleibeninBiel wurde immer stärker, doch verhinderte die rassistische Gewalt nicht.

Die Bewohner*innen des Rückkehrcamps Bözingen starteten den Widerstand mit klaren Forderungen an die Stadt Biel:

«Wir wollen in Biel bleiben und nicht an einen abgelegenen Ort isoliert werden. Wir wollen, dass Kinder weiter hier zur Schule gehen können. Wir wollen in Wohnungen leben dürfen. Wir brauchen Aufenthaltsbewilligungen für eine Perspektive».

Forderungen von #WirbleibeninBiel

Darauf folgten Petitionen (erste, zweite, dritte), Demos, Protestaktionen, eine ausführliche Broschüre, ein anschauliches Erklär-Video. Es wurden offene Briefe (an den Gemeinderat, an die NKVF), Stellungnahmen und Leser*innenbriefe veröffentlicht und in Biel waren Wandzeitungen, Plakate und Transparente sichtbar. Zudem fanden Infoveranstalungen und regelmässige Flyerverteilaktionen statt, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. All dies erlaubte es, dass der Widerstand auch stark in den (Sozialen) Medien präsent war. Nebst den Mainstreammedien berichteten die WOZ und Le Courrier über den Protest.

Ein weiterer Beitrag zu #WirbleibeninBiel kam vom Kollektiv «SoliBiel/Bienne». Es besetzte das ehemalige Altersheim «Oberes Ried». Die Besetzung erhöhte den Druck und die Aufmerksamkeit öffnete Raum für weitere Solidarität. So solidarisierten sich zum Beispiel Anwohner*innen des Oberen Rieds mit den Forderungen der Geflüchteten. Die Besetzung zeigte direkt und konkret auf, dass es in Biel nicht an Platz mangelt, um für die Bewohnenden des Camps Bözingen eine Alternative zu den repressiven Rückkehrcamps der ORS AG und den beschränkt verfügbaren individuellen Privatunterbringsmöglichkeiten zu bieten.

Respektlose Hinhaltetaktik vom Bieler Gemeinderat

Weder die Betroffenen oder ihre Forderungen, noch die Bewegung oder ihre einzelnen Organisationen wurden vom Bieler Gemeinderat ernst genommen, geschweige denn anerkannt. Der Bieler Gemeinderat hätte die geforderte Kollektivprivatunterbringung im Oberern Ried oder in anderen leeren Gebäuden in der Stat Biel solidarisch umsetzen können. Stattdessen glänzte er mit Passivität und servierte die Bewegung mit unannehmbar späten und schlechten Antworten ab. Erst als der Kanton die meisten Transfers durchgesetzt hatte, antwortet er auf die dringliche Gesprächsaufforderung, die er eine Woche zuvor erhalten hatte:

«Was ihr Anliegen für ein Gespräch betrifft, so können wir gerne einen Termin vereinbaren (…) Vorbedingung für ein solches Gespräch ist allerdings, dass die besetzte Liegenschaft vorgängig geräumt und verursachte Schäden behoben sind».

Beat Feurer im Antwortschreiben an #WirbleibeninBiel vom 27. Juni 2022

Zynischerweise liess er das «Obere Ried» kurz darauf durch die Polizei räumen – ohne Vorwarnung und ohne Zeit für das Kollektiv, von sich aus zu reagieren.

All dies, nachdem die Stadt dem Kanton das «Obere Ried» und hunderte andere Unterkünfte proaktiv und solidarisch für Menschen aus der Ukraine als mögliche Unterkunft angeboten hatte. Dies war parallel zur #WirbleibeninBiel-Bewegung erfolgt. Gegenüber #WirbleibeninBiel sagte er dann absurderweise das «Obere Ried» sei nicht für Geflüchtete zu nutzten.

Kalte Herabsetzung von Philippe Müller

Philippe Müller reagierte aggressiv und herablassend auf den Widerstand. Seine Tweets sprechen Bände:

«Zuerst anprangern, wie ‹menschenunwürdig› es dort (A.d.R. im Rückkehrcamp Bözingen) sei und dann, wenn man dort Platz braucht für Ukraine Flüchtlinge: Weigert man sich zu gehen! = Paradebeispiel, wie NGOs, Migrant Solidarity Network, SP Schweiz, Grüne Schweiz und Co. die abgewiesenen Asylsuchenden instrumentalisieren».

Philippe Müller auf Twitter am 26. März 2022

Für ihn ist #WirbleibeninBiel «Das Resultat der extremistischen Asylorganisationen um Migrant Solidarity Network, Juso Schweiz». Von rechts erhielt Müller für solche Äusserungen Rückendeckung. Der SVP Regierungsrat Pierre-Allain Schnegg «likte» den Tweet und behauptet gegenüber Medien ebenfalls, die Kritik sei Ergebnis von Instrumentalisierung. Auch die rassistische «Weltwoche» unterstützt Müllers Zermürbungspolitik gegenüber abgewiesenen Personen.

Mehrheitliche Passivität von NGOs und linken Parteien

Anerkannte NGOs und linke Parteien äusserten sich zurückhaltender. Abgesehen von einem Tweet von Amnesty und einem Facebook-Post von der Beobachtungsstelle für Ausländer und Asylrecht (SBAA) sowie einer robusten Stellungnahme der SP Biel schien es für sie nicht gewinnbringend, sich offen solidarisch auf der Seite von politisch aktiven abgewiesenen Geflüchteten und einer stark diskreditierten Bewegung zu positionieren.

Das Ergebnis der wochenlange Proteste löst Ohnmacht, Wut und Frust aus unter den direkt betroffenen Menschen, denen sonst schon konstant Rechte und Perspektiven verwehrt werden. Die politischen Akteure von Kanton und Stadt gehen gewaltvoll und verantwortungslos mit den Leben von Menschen um. Jene, die sich entscheiden, dazu zu schweigen auch!