Philippe Müllers Asylregime: Nicht nur menschenrechtsverletzend und krankmachend, sondern auch anti-demokratisch

Impressionen von der Stop Isolation Kundgebung fotografiert am Dienstag 22. September 2020 in Bern. (Manuel Lopez)

Mit der Kritik am bernischen Nothilferegime stehen „Stop Isolation“ und das Migrant Solidarity Network längst nicht mehr alleine da. Im Parlament gab es Motionen und Vorstösse. Ein Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) spricht von Menschenrechtsverletzungen und über 400 Gesundheitsfachpersonen bestätigen in einem offene Brief krankmachende Verhältnisse. Besonders kritisiert wird die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht. Der zuständige Regierungsrat Philippe Müller liess diese ohne gesetzliche Grundlage einführen und masste sich an, selbst als Gesetzgeber tätig zu werden.

Dass ein solcher Missbrauch der Gewaltentrennung nach wie vor keinen politischen Skandal auslöst, ist Zeugnis von strukturellem Rassismus.

Migrant Solidarity Network

Philipp Müller führte die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht über eine blosse Anpassung der kantonalen Nothilfeweisung ein. Ziffer 5.4 verwandelt Nothilfecamps in offene Gefängnisse: „Die zwingende Anwesenheitspflicht bedeutet, dass sich die Nothilfebeziehenden an sieben Tagen die Woche im Rückkehrzentrum aufhalten und dort übernachten.“ Hunderte abgewiesene Personen werden so während Jahren – teilweise Jahrzehnten – in Nothilfecamps isoliert. Wer drei Mal gegen die Anwesenheitspflicht verstösst, verliert das Recht auf Nothilfe und gilt unmittelbar als untergetaucht, was die Chancen auf ein Härtefallgesuch gegen Null sinken lassen kann.

Anwesenheitspflicht in Kollektivunterkünften ist unzulässig

Demokratische Jurist*innen Bern-Autor*innenkollektiv

Im Bundesrecht finden sich keine Hinweise für eine derartige Freiheitsberaubung. Artikel 12 der Bundesverfassung sichert abgewiesenen Personen das Recht auf Nothilfe explizit zu – ohne es an Freiheitsbeschränkungen zu knüpfen. Einschränkungen wären nur erlaubt, wenn ihre zwangsweise Durchsetzung zur Beseitigung der Notlage führt, was hier nicht behauptet werden kann. Die Anwesenheitspflicht widerspricht zudem dem Recht auf Bewegungsfreiheit (Artikel 10) und dem Recht auf soziale Kontakte (Artikel 13), die beide ebenfalls in der Bundesverfassung geschützt wären. Auch im kantonalen Recht finden sich keine gesetzlichen Grundlagen für die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht. Es gab für die verschärfte Weisung keine Vernehmlassung, keine Parlamentsdebatte und kein Parlamentsentscheid.