Dieses Schweigen ist lauter als alle Worte…

DE: Ein Beitrag für den internationalen Frauen*kampftag 8. März –
A. und die alltäglichen Probleme wegen Corona, der ORS und dem Leben im Rückkehrzentrum. Ein Bericht einer MSN-Aktivistin, die im Kanton Zürich regelmässig Menschen in den Rückkehrzentren der ORS besucht.
FR: Une contribution pour la journée internationale de lutte des femmes* 8 mars –
A. et les problèmes quotidiens à cause de Corona, de la ORS et de la vie dans le centre de retour. Un rapport – en allemand – écrit par une militante du MSN qui visite régulièrement les personnes dans les centres de retour de l’ORS dans le canton de Zurich.
EN: A contribution for the international women’s* struggle day March 8 –
A. and the everyday problems because of Corona, the ORS and the life in the return center. A report by an MSN activist who regularly visits people in the ORS return centers in the canton of Zurich.

A. wohnt in einem Rückkehrzenrum, das von ORS betrieben wird. Sie ist alleinerziehende Mutter. Ihr Mann lebt ebenfalls in diesem Kanton, aber in einem anderen Rückkehrzentrum, weil er ein Dublinverfahren hat.

Seit drei Jahren wohnt sie mit ihrem Sohn in einem kleinen Zimmer von ca. 8 m2. Sie ist wieder schwanger. Ihre „Nachbarinnen“ vom Rückkehrzentrum erzählen, wie sie schön geworden sei. Wie eine Madonna strahle sie ein inneres Licht aus. A. ist besonders glücklich, wieder Mutter zu werden – auch unter prekären Umständen…

Dieses Gefühl hilft ihr, damit umzugehen, wenn sie beispielsweise gezwungen ist, nicht nur beim Einkaufen, sondern auch jedes Mal, wenn sie auf die Toilette geht, duscht oder kocht, eine Maske tragen zu müssen. Manchmal ruft sie mich an – obwohl sie kaum Deutsch spricht, versucht sie mir zu erklären, wie isoliert sie ist. Sie versteht nicht, warum ich sie nicht besuchen darf. * Sie vermisst unsere Treffen, bei denen wir ein Kaffeeritual geniessen können – genau wie in ihrem Heimatland. Auch ihre Kirche kann sie nicht besuchen. Seelsorge wurde von der ORS nie organisiert – obwohl in den Bundesasylzentren für Geflüchtete seelsorgerische Hilfe geleistet wird.

A. spricht kaum Deutsch, obwohl sie seit vielen Jahren in der Schweiz lebt. Sie musste sich um ihren in der Schweiz geborenen Sohn kümmern. Das Rückkehrzentrum in dem sie wohnt, hat einen Deutschkurs, an dem sie aber nicht teilnehmen darf, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Diese Kurse richten sich an Asylsuchende, die das Asylverfahren durchlaufen. Einige Bewohnende des Rückkehrzentrums dürfen Deutsch lernen, andere nicht.

Letztes Jahr gab es in ihrem Asylheim mehrere Fälle von Verdacht auf Coronavirus, und es gab auch kranke Menschen in einem anderen Familien-RKZ. Es gab keine breiten Tests. Die kantonalen Behörden brachten einen Wohncontainer mit, in dem sie die Kranken isoliert haben. Für einige Wochen wurde das Catering vom ORS organisiert, die Nothilfe wurde überhaupt nicht ausbezahlt – kein Rappen!

Da das gelieferte Essen für viele Menschen ungewöhnlich war, konnten sie, insbesondere die Kinder, nicht essen und waren oft hungrig. Die Bewohnenden der beiden Familienunterkünften hatten kein Geld, sie durften nicht kochen, die Kinder wurden zu Hause unterrichtet, Familien und alleinerziehende Mütter mit oft weinenden Kindern sassen in ihren kleinen Zimmern fest – es war einfach unerträglich!

Wir – die solidarischen Menschen, Organisationen, selbstorganisierten Gruppen – haben Lebensmittel, Hygieneprodukte, Desinfektionsmittel etc. geliefert, Handyguthaben wurden aufgeladen, damit die Geflüchteten uns kontaktieren können, und Kinder in Homeschooling ihre Hausaufgaben erledigen konnten.

Erst nach massiver Kritik, Widerstand der Bewohnenden und nach vielen Schreiben von Hilfsorganisationen haben die kantonalen Behörden und die ORS die „Corona“-Container gebracht und einige besonders gefährdete Personen in anderen Unterkünften platziert. Masken und Desinfektionsmittel wurden erst spät organisiert wie auch das WiFi für die Kinder in Homeschooling.

Warum braucht die ORS solche „Anreize von Aussen“ bevor sie handelt?

Ein Konzern** mit einer Struktur und einem Managementsystem sollte schneller und effizienter auf die Herausforderungen und Risiken einer Pandemie reagieren. 2019 resultierte bei der ORS in der Schweiz ein Umsatz von 87, 832 Millionen Franken. Der Umsatz in der Schweiz, Österreich und Deutschland belief sogar 132,726 Millionen CHF!***

… A. bleibt mit ihrem Kind nach wie vor im RKZ isoliert. Obwohl schwangere Frauen zu den besonders gefährdeten Personen gehören sollen.****

Wir schweigen uns am Telefon lange an. Aufgrund ihres Deutschmangels kann sie nicht erklären, wie sie unter Umständen leidet, ich habe nichts zu sagen, um sie zu trösten. Zwei Frauen auf gegenüberliegenden Seiten…Dieses Schweigen ist stärker als alle Worte.

*Besuchsverbot
** https://www.studizytig.ch/ausgaben/ausgabe-7/schweigen-ist-gold/
*** https://www.yumpu.com/de/document/read/63717307/ors-report-2019-deutsch
**** https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/aktuell/news/news-05-08-2020.html