GLEICHGÜLTIGKEIT SCHÜTZT NUR DIE HERRSCHENDEN

Rede an der Wutwache vom 28.2.2023 in Bern

„Am Sonntag zerschellte ein Holzboot an der kalabrischen Felsenküste in seine Einzelteile. 59 Menschen sind tot geborgen worden. Darunter 13 Kinder. 80 Personen überlebten. 20 von ihnen sind im Krankenhaus. Wie viele genau im Boot sassen ist ungewiss. Einige der Überlebenden berichten von mindestens 250 Menschen an Bord, andere von 180. Die Reaktionen von politischen Entscheidungsträger*innen in Europa lauten: Erschüttert, traurig, fassungslos. Eine Notsituation, ein tragisches Ereignis. Welch Hohn.

Dieses Ereignis ist tragisch, das stimmt, aber es ist nicht plötzlich, nicht einmalig, nicht überraschend, sondern die Konsequenz der aktuellen Todespolitik Europas an den Aussengrenzen. Überfüllte, schlechte Boote; prekäre gefährliche Überfahrten, die heimlich geschehen müssen; Boote, die von Polizei und Küstenwachen wieder zurückgebracht werden, statt Schutz und Sicherheit zu ermöglichen. Die Antwort auf Flucht ist nicht Schutz und wird nicht als Recht auf Leben verstanden, sondern die Antwort ist Gleichgültigkeit oder gar Vertreibung.

Die Organisation Alarmphone, die Rettungen im Mittelmeer koordiniert und ermöglicht erklärt: «Es ist politischer Wille, Ankünfte von Booten nicht über die Notfalllogik hinaus zu verwalten, ständig unvorbereitet auf Ereignisse zu sein, die vorhersehbar und daher mit spezifischen Instrumenten und genauen Massnahmen beherrschbar sind»

Es ist politischer Wille, so ist es auch in den weiteren Statements der Politiker*innen zu erkennen. Denn die Mitverantwortung oder der Wille, die Zahl der Toten zu minimieren, wird von sich geschoben: Die Schlepper*innen seien es, die Kriminalität, die Herkunftsstaaten, die ihre «Probleme» nicht lösen würden, die anderen – nicht das eigene – europäischen Land, die sich nicht an Verteilregeln halten. Als ob die Menschen auf der Flucht Waren sind, die verteilt werden müssen.

Europa schaut weg. Ist gleichgültig. Europa betreibt eine Politik des Todes an ihren Aussengrenzen. Die Infrastrukturen, die Praktiken, die Massnahmen sind immer auf die Ausnahme ausgerichtet, auf den Notfall. Meloni zum Beispiel, die Regierungspräsidentin Italiens, führte diese Jahr als Massnahmen ein neues Dekret ein, in dem Seenotrettungsschiffe willkürlich einem Hafen zugeteilt werden, an dem sie landen können. Dieser kann Tage entfernt sein, was weniger Rettungen bedeutet, mehr Wartezeit für die Menschen auf dem Boot. Die Politik ist ausgerichtet auf das Sterben lassen. Risiko besteht nicht bei einer Rettung, sondern der mögliche Tod von Menschen wird in Kauf genommen. Eine Politik der Kälte.

Das Boot ist am Sonntag kurz vor dem Ziel, an der kalabrischen Küste zerschellt. Es war wohl dunkel, kalt, windig, stürmisch. Würde Europa eine Politik des Schutzes ermöglichen, hätte dort ein Leuchtturm stehen können, der Licht gegeben hätte. Ein Funksystem vielleicht, das über einen ruhigen Küstenabschnitt informiert hätte, ein Boot vielleicht, das dem anderen Boot entgegenfahren wäre um es in eine Hafen zu führen. Eine Politik für das Leben.“