Gegen die Taliban sein, heisst auch Solidarität mit geflüchteten Afghan*innen

Über 400 Personen haben an der Kundgebung teilgenommen, die die Gewaltoffensive der Taliban kritisiert und die offizielle Schweiz auffordert, Afghan*innen, die flüchten müssen aufzunehmen und den bereits in der Schweiz lebenden Afghan*innen einen sicheren Status zu geben.

Demo gegen die Gewaltoffensive der Taliban, August 2021

Seit dem Truppenabzug der USA führen die Taliban in Afghanistan eine brutale Gewaltoffensive. Bereits besetzen sie fast das gesamte Land, das der Global Peace Index 2020 und 2019 als das gefährlichste Land weltweit einstufte. Solidarisches direktes Handeln von uns allen ist gefragt. 
Vom Bundesrat und dem SEM ist zu erwarten, dass sie ihre Möglichkeiten ausschöpfen.

Demonstration gegen die Gewaltoffensive der Taliban in Afghanistan, August 2021, Bern

Folgende Möglichkeiten hat die offizielle Schweiz nun, sich gegen die Taliban einzusetzen und den Menschen auf der Flucht keine Steine in den Weg zu legen:


Alle afghanische Geflüchtete erfüllen die Flüchtlingseigenschaften und brauchen Asyl

„Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden“ (Artikel 3, AsylG). Die offizielle Schweiz könnte gemäss Asylgesetz alle Afghan*innen, denen sowohl die Flucht wie auch die lange, gefährliche Reise – über Iran, Türkei, Griechenland, Balkanroute und einzelne EU-Staaten – bis in die Schweiz gelang, Asyl gewähren. Trotzdem lehnt das SEM dieses Jahr noch 86 % der Asylsuchenden aus Afghanistan ab. Dem SEM reicht es nicht, wenn eine Person floh, weil alle ihrer Gruppe verfolgt werden. Es verlangt, dass die Person den Talibans persönlich bekannt war und persönlich durch die Talibans verfolgt wurde. Das widerspricht der Auslegung des UNHCR in Bezug geflüchtete Personen aus Afghanistan: „Um die Flüchtlingseigenschaft zu erfüllen, ist es nicht erforderlich, dass die Schutzsuchende Person dem/den Verfolgungsakteur/en persönlich bekannt ist oder persönlich von diesem/n Akteur/en ausfindig gemacht wird. Auf ähnliche Weise können ganze Gemeinschaften begründete Furcht vor Verfolgung (…) haben“ (UNHCR, https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2019/07/afg_guidelines_2018.pdf)


„Vorübergehender Schutz“ (Ausweis S) für alle, die jetzt in die Schweiz fliehen
Die offizielle Schweiz kann auch über diesen Weg Menschen, die aktuell fliehen, direkt aufnehmen, sie schützen und ihnen die lange, gefährliche und teure Migrationsroute nach Europa ersparen. Der Bundesrat soll sofort die nötige Vernehmlassung eröffnen, um zu entscheiden. Im Asylgesetz steht: „Die Schweiz kann Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, insbesondere während eines Krieges oder Bürgerkrieges sowie in Situationen allgemeiner Gewalt, vorübergehenden Schutz gewähren“. (Artikel 4, AsylG). „Der Bundesrat entscheidet (…) Er konsultiert zuvor Vertreterinnen und Vertreter der Kantone, der Hilfswerke und allenfalls weiterer nichtstaatlicher Organisationen sowie das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge.“ (Artikel 66, AsylG).

„Vorläufige Aufnahme“ (Ausweis F) für abgewiesene Afghan*innen in der Nothilfe
Anfang August hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen Sonderflug von Österreich nach Afghanistan gestoppt. Den Abgeschobenen drohen in Afghanistan „nicht wiedergutzumachende Menschenrechtsverletzungen“, so der EGMR. Letzte Woche hat dann auch das SEM entschieden, in der Schweiz die geplanten Afghanistan-Abschiebungen zu stoppen. Schweizweit sind rund 200 Afghan*innen mit Negativentscheid in Nothilfe-Camps blockiert. Die offizielle Schweiz kann ihnen eine „vorläufige Aufnahme“ (Ausweis F) gewähren. Die SEM-Kriterien treffen zu: „Vorläufig Aufgenommene sind Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, wobei sich aber der Vollzug der Wegweisung als unzulässig (Verstoss gegen Völkerrecht), unzumutbar (konkrete Gefährdung des Ausländers) oder unmöglich (vollzugstechnische Gründe) erwiesen hat. Die vorläufige Aufnahme kann für 12 Monate verfügt werden und vom Aufenthaltskanton um jeweils 12 Monate verlängert werden.“ (vgl. Webseite SEM)

Ausweis C oder B für Afghan*innen, die schon seit Jahren mit Ausweis F leben müssen
Viele Afghan*innen leben bereits seit Jahren mit einer vorläufigen Aufnahme. Eine Rückkehr nach Afghanistan ist und bleibt für sie unzumutbar. Der Ausweis F geht leider mit einschneidenden Diskriminierungen einher z.B: auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Zudem sind die Bewegungsfreiheit und andere Freiheiten eingeschränkt. Die offizielle Schweiz soll all diesen Menschen eine stabilere Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B oder C) erteilen. Sie kann es. 

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