Äthiopiensonderflug: Ungleiche Medienberichte in der Deutschschweiz und Romandie

Der Medienspiegel zum gestrigen Sonderflug weisst auf weisse Flecken der Deutschschweizer Medien hin. Das zeigt ein Vergleich mit Westschweizer Medien. Allgemein gilt: Politische Stimmen von Geflüchteten kommen in den Schweizer Medien nicht zu Wort. Und: Viele wichtige Fragen bleiben ohne Antwort.

FR: Vol spécial d’expulsion vers l’Éthiopie : une couverture médiatique inégale entre la Suisse alémanique et la Suisse romande La revue de presse concernant le vol spécial d’hier met en évidence des lacunes dans les médias suisses-allemands. C’est ce que montre une comparaison avec les médias en Suisse romande. En général, les voix politiques des réfugiés ne sont pas entendues dans les médias suisses. Et : de nombreuses questions importantes restent sans réponse.

EN: Ethiopia Special Deportation Flight: Unequal Media Coverage in German-speaking and French-speaking Switzerland The media review of yesterday’s special flight points out white spots in the German-speaking media of Switzerland. This is shown by a comparison with the media in the French-speaking part of Switzerland. In general, the political voices of refugees are not heard in the Swiss media. And: Many important questions remain unanswered.


Westschweizer Medien berichteten in den vergangenen Tagen folgendes: Le Courie/ | Le Temps  | RTS  | Tribune de Genève | Swissinfo. SIe informierten nicht nur, dass der Sonderflug geplant sei, sondern auch:

  • dass ein Hunger- und Durststreik von Tahir (Nachname) stattfand: Gestern kam er vor seiner Zwangsausschaffung ins Spital. Später wurde er im Spital von der Polizei abgeholt und auf den Ausschaffungsflug gebracht. Die Frage, ob er zwangsernährt wurde, um medizinisch „ausschaffbar“ zu werden bleibt offen. 
  • dass Menschen trotz Corona auf die Strasse gehen und verschiedene Gruppen – nicht nur Amnesty und SFH – Stellung beziehen. 
  • dass der Ausschaffungsdeal juristisch von Anwält*innen in Frage gestellt wird. Diese erklären, dass die Behörden sich weigern würden, die Einzelheiten des Rückkehrabkommens transparent zu machen. Die Rechtsgrundlage für den Sonderflug würde so geheim gehalten.

Seitens der Deutschschweizer Mainstreammedien berichtete nur das Echo der Zeit über den Sonderflug. Zumindest haben wir keine anderen Berichte gesehen. Zu Wort kommen im Beitrag wieder einmal nur schweizer und keine geflüchteten Stimmen. Es ist im Beitrag nichts über den Hunger- und Durststreik, den Protest auf der Strasse und die juristische Kritik am Ausschaffungsdeal zu hören. Der SEM-Direktor Mario Gattiker erhält dafür die Möglichkeit, Abschiebungen nach Äthiopien zu rechtfertigen: „Aus Sicht von uns wie auch von vielen anderen Europäischen Staaten sind Rückführungen durchaus zulässig“. Wie die Behörden zum Schluss kommen, dass Artikel 83 Absatz 4 AIG gestern nicht zutraf: „Der Vollzug kann für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Not­lage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret gefährdet sind“, bleibt ohne gute Begründung..

Herrscht in Äthiopien kein Krieg? Kein Bürgerkrieg? Keine medizinische Notlage?

Danach ist im Bericht zu erfahren, dass es sich um einen Frontex-Sonderflug handelt und sich damit verschiedene europäische Staaten koordinieren, um Geflüchtete zwangsauszuschaffen. Im Beitrag klingt es so, als würde die Schweiz einfach mitmachen und dass auch andere Staaten Abschiebungen nach Äthiopien problemlos finden.  Doch welche Regierungen sich wie die Schweiz gestern entschieden haben – trotz Corona und Krieg – nach Äthiopien – abzuschieben,  bleibt offen. Auch ist unklar, ob die Schweiz für genau diesen Sonderflug eine Vorreiter-Rolle übernahm.

Es liegt die Vermutung nahe, dass die Schweiz den Sonderflug organisiert und mit den anderen Länder koordiniert, denn im Dezember der Bundesrat im Dezember 2020 in einer Stellungnahme kaltblütig und stolz:

„Trotz der Corona-bedingt schwierigen Situation die Schweiz im laufenden Jahr (2020) vier polizeilich begleitete Rückführungen nach Äthiopien durchführen konnte. Die Schweiz plant für das kommende Jahr (2021) einen Frontex-Charterflug unter ihrer Leitung“.

Bundesrat im Dezember 2020

Gut möglich, dass KKS und das SEM gegenüber den anderen Europäischen Staaten keinen Gesichtsverlust erleiden wollten und die Menschen deshalb abgeschoben werden mussten. 

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