Demo: Eritrea ist eine Diktatur, kein Staat für Migrationspartnerschaften

Heute demonstrieren (geflüchtete) Aktivist*innen aus Eritrea und anderen Ländern vor dem Staatssekretariat für Migration (SEM). Das SEM hätte den Auftrag für den Schutz von uns Migrantinnen und Migranten in der Schweiz zu sorgen. Leider haben Geflüchtete aus Eritrea in der Schweiz Probleme und das SEM hilft nicht, diese zu lösen. Auf die Probleme wollen die Demonstrierenden heute aufmerksam machen. „Es kommt uns vor, als wären wir von einem Ort der schlimmsten Ängste – Eritrea – in einen weiteren Ort der Ängste geflohen – in die Schweiz“ sagen die Demonstrierenden.

Was sind unsere Probleme? Rede von Negasi Sereke

„Die offizielle Schweiz verkennt die Situation in Eritrea und anerkennt viele von uns nicht an:Militärdienst in Eritrea ist nach wie vor zeitlich unbefristet und stellt für die jüngste Generation des Landes eine Versklavung und unzumutbare Gewalt dar. Vor dieser Gefahr zu fliehen ist legitim. Doch das SEM anerkennt dies nicht mehr als Fluchtgrund an. Die Asylgesuche werden seit 2016 abgelehnt.1

Die Diktatur in Eritrea verhaftet täglich Menschen ohne Begründung. Im Gefängnis erleben Menschen extreme, unzumutbare Gewalt. Nach einer solchen traumatisierenden Erfahrung zu fliehen ist legitim. Doch wer nach der Haftentlassung einige Monate braucht, um seine Flucht zu organisieren, wird vom SEM nicht anerkannt. Das SEM behauptet dann, die Person könne offenbar in Eritrea ohne Verfolgung leben. Es ist legitim vor dieser Gefahr zu fliehen. Doch das SEM anerkennt diese begründete Furcht nicht an.

Bei vielen Menschen aus Eritrea prüft das SEM die Fluchtgründe nicht genau. Das SEM behauptet dann jeweils die Person sei nicht glaubwürdig, weil sie sich zu Erlebnissen nicht im Detail äussern. Dabei wissen alle, die das wollen, dass es für traumatisierte Menschen normal ist, sich widersprüchlich und nicht zusammenhängend zu erklären und Details durcheinander zu bringen. Das SEM aber anerkennt diese Symptome von Traumatisierung nicht.

Wer von Eritrea in die Schweiz geflohen ist, will hier keinen Kontakt mit der Botschaft aufnehmen müssen. Es kann nicht sein, dass die offizielle Schweiz uns auffordert, unseren Verfolgerstaat zu kontaktieren. Doch genau dies müssen wir tun für Heirat, Familienzusammenführung oder Härtefallgesuche. Da braucht es in der Schweiz fast immer einen Pass, eine Geburtsurkunde und weitere offizielle Dokumente aus Eritrea. Damit erschwert die offizielle Schweiz das Recht auf Ehe- und Familienleben. Weiter lässt die offizielle Schweiz postkoloniales Denken erkennen, wenn sie schweizer Massstäbe an eritreische Heirats- und Taufurkunden stellt und dabei die Realität in Eritrea komplett ignoriert. Denn: Taufen, Eheschließungen oder Todesfälle werden in Eritrea in der Mehrheit der Fälle nicht registriert, dennoch ist z.B. eine nur religiös geschlossene Ehe auch ohne offizielle Anerkennung gültig. Die restriktiven Vorgaben der offiziellen Schweiz führen dazu, dass Kinder ohne Eltern aufwachsen, Ehen in die Brüche gehen und in der Schweiz lebende Geflüchtete an der Familientrennung zerbrechen.

Das Bild, das die offizielle Schweiz von Eritrea vermittelt, stimmt nicht überein mit dem, was in Eritrea alles geschieht. Viel wurde über den Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea gesprochen. Doch in Eritrea hat sich seither die Situation weder verändert und schon gar nicht verbessert. Obwohl genau das die Schweizer PolitikerInnen zu vermitteln versuchen. Es gibt einzelne Schweizer Medien, die die Lage in Eritrea genauer untersuchen. Sie kommen zum gleichen Schluss wie wir: Eritrea ist so gefährlich wie eh und je. Und nach wie vor herrscht Willkür und es geht Gefahr vom Staat aus. Eine Reportage der Republik zeigt, dass ungewiss ist, was mit Rückkehrer*innen in Eritrea geschieht. Selbst das SEM äussert in dem Länderbericht 2019, dass vieles in Eritrea nicht genügend Informationen gibt. Auch recherchierte die Republik, dass viele Personen, die von Europa aus nach Eritrea zurückreisen, rasch wieder ausreisen.2 Das ist ein Hinweis darauf, dass die Situation in Eritrea nicht sicher ist. Und trotzdem werden unsere Asylgesuche abgelehnt und wir sollen zurück. In die Gefahr.

Mit so viel Unsicherheit ist auch der Datenaustausch, der das SEM mit Eritrea tätigt, zweifelhaft. Der Datenaustausch informiert laut watson.ch, einer Online-Zeitung die eritreischen Behörden, wenn ein Asylsuchender nicht freiwillig zurückwill. So tätigt das SEM Abklärungen zur Herkunft und Identität der ausreisepflichten Person, die nicht freiwillig gehen will. Dass dieser Austausch in der Situation, in der so viel Ungewissheit herrscht ncith ungefährlich ist, das sollte auch dem SEM klar sein.3 Jede Information über eine Person, der in die Diktatur von Eritrea geht, aus der wir geflohen sind, ist für uns gefährlich.

Wir wissen: Die offizielle Schweiz arbeitet mit der Diktatur zusammen und schützt die Menschen, die in der Opposition sind, nicht. Denn die Personendaten, die das SEM der Diktatur zur Verfügung stellt, sind sensibel. Bei den Familien im Herkunftsstaat löst dies grösste Verunsicherung aus. Weiter arbeiten in der Schweiz eritreische Staatsbürger*innen für den Geheimdienst der Diktatur. Meist arbeiten diese Personen in der Schweiz als Dolmetschende oder in der so genannten Integration. In Wahrheit spionieren sie oppositionellen Tätigkeiten in der Schweiz nach. Regelmässig reisen sie ins Ausland und informieren die Behörden der Diktatur. Das löst bei uns Aktivist*innen der Opposition Ängste und Verunsicherung aus. Wo bleibt unser Schutz in der Schweiz.

Durch die gehäuften abgelehnten Asylentscheide seit 2016 müssen immer mehr von uns in der Nothilfe leben: Rückkehr ist keine Option. Das Leben in der Schweiz ohne Perspektive und mit Angst. Das ist staatlich orchestrierte Verhinderung von Lebensmöglichkeiten. Wir brauchen eine Perspektive und nicht ein Leben in der Nothilfe.

Deshalb ersuchen wir um eine Anerkennung der spezifischen Flüchtgründe von eritreischen Menschen, für die Anerkennung der nach wie vor gefährlichen Situation in Eritrea und der damit verbundenen Tatsache, dass wir nicht zurück können und deshalb für eine Lebensperspektive und legalen Aufenthalt in der Schweiz“.

1 Zeier, Christian: «Hinter dem Schleier des Nichtwissens», Republik, 8.4.2020, https://www.republik.ch/2020/04/08/hinter-dem-schleier-des-nichtwissens, [Oktober 2020].

2 Zeier, Christian: «Hinter dem Schleier des Nichtwissens», Republik, 8.4.2020, https://www.republik.ch/2020/04/08/hinter-dem-schleier-des-nichtwissens, [Oktober 2020].

3 Marjanovic, Petar: «Heikler Datenaustausch. Schweiz meldet eritreische Geflüchtete ans Herkunftsland», 19.9.2020, https://www.watson.ch/schweiz/asylgesetz/627659837-datenaustausch-schweiz-meldet-eritrea-fluechtlinge-dem-regime, [Oktober 2020].

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