Neuer Brief der Gruppe Stopp Isolation an den berner Migrationsdienst

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Bern, den 17. August 2020

Sehr geehrter Herr Regierungsrat Philipp Müller
Sehr geehrte Damen und Herren vom Amt für Bevölkerungsdienste und der Sicherheitsdirektion

Im Brief vom 6. Juli 2020 forderte die Gruppe «Stopp Isolation» – Geflüchtete Migrant*innen mit Negativentscheid: (1) Aufenthaltsbewilligungen und eine verbesserte Härtefallpraxis; (2) Keine Isolation in Rückkehrzentren; (3) Keine ständigen Kontrollen, Bussen und Haftstrafen; (4) Respekt, Würde und Gleichberechtigung.

Zu diesen Hauptforderungen machten wir zahlreiche präzise Vorschläge. In Ihrer Antwort vom 16. Juli 2020 haben Sie diese durchgehend zurückgewiesen. Gegenüber den Medien bezeichneten Sie uns als «undemokratisch» und «unsolidarisch». Sie sprachen von einer «organisierten Show» und einer ungerechtfertigter «Lobbyorganisation».

Durch den heutigen Protest machen wir deutlich, dass wir Ihre bisherige Haltung bedauern. All unsere Forderungen bleiben bestehen. Wir bitten Sie höflich konstruktiver und lösungsorientierter auf uns und unsere Forderungen einzugehen. Wir bitten Sie folgende Fragen zu beantworten:

Härtefallpraxis im Kanton Bern
Wir vermuten, dass der Kanton Bern strengere Härtefallkriterien anwendet als es Gesetz, Verordnung und Weisungen vorsehen. Insbesondere sollten Härtefallgesuche bereits nach 5 Jahre Aufenthalt in der Schweiz – und nicht erst nach 10 Jahren – gute Chancen haben. Auch sollten Gesuche von Personen eine Chance erhalten, die ihre Identität nicht mit einem Reisepass oder einer ID offenlegen können, sondern mit Urkunden oder widerspruchsfreien Angaben zu ihrer Herkunft, die z.B. vom SEM während des Asylverfahrens als glaubhaft eingestuft wurden. Weiter bitten wir, gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip, dass Sie die Härtefallkriterien des Kantonsoffenzulegen und uns mitzuteilen, wieviele Gesuche der Kanton in den letzten fünf Jahren mit welchen Begründungen ans SEM weitergeleitet hat oder eben nicht.

Freiheitsbeschränkung in den Rückkehrzentren

In Ihrem Brief vom 16. Juli 2020 schreiben Sie «Das neue Gesetz steht im Einklang mit den bundesrechtlichen und verfassungsmässigen Vorgaben». Die Demokratischen Jurist*innen Bern kritisieren jedoch in einer Stellungnahme (vgl. https://www.djs-jds.ch/de/be-2/aktuell-be) die Nothilferegeln im Kanton Bern seien verfassungswidrig. Sie beruhe auf ungenügenden gesetzlichenGrundlagen und verstosse gegen die Gewaltenteilung. Es komme zu einer Verletzung des Rechts auf Hilfe in Notlagen sowie mehrerer Freiheitsrechte. Um uns ein genaues Bild zu machen, bitten wir Sie zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Anspruch auf Gleichberechtigung
Die Frauen*bewegung und die Black-Lives-Matter-Bewegung haben es einmal mehr klargestellt: Alle Menschen sind gleichwertig. Wir fühlen uns aber im Kanton Bern wie Menschen zweiter Klasse. Der Kanton Bern ist frei, dies zu ändern: Warum werden wir im Vergleich zu Bürger*innen der EU diskriminiert? Sie erhalten eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie einen Job finden. Und warum werden wir anders bestraft als Schweizer*innen? Für Schweizer*innen gilt, dass niemand zweimal für dieselbe Tat gebüsst werden darf. Für uns jedoch gilt der «illegale Aufenthalt» als Dauerdelikt. Wir erhalten immer wieder neue Bussen und können insgesamt bis zu einem Jahr weggesperrt werden. Was können Sie unternehmen, um diese Ungleichbehandlung zu vermeiden?

Wir brauchen dringend eine neue Perspektive. Viele von uns sind seit Jahren in der Schweiz. Bitte akzeptieren und achten Sie unsere Leben, unsere Würde und unsere Freiheit. Nutzen Sie Ihren Handlungsspielraum für uns statt gegen uns.

Freundliche Grüsse
Stopp Isolation

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